Ich laufe ein Stück über die Zeil, biege links ab, überquere die Berliner Straße, vor der „Mona Lisa“ biege ich ab, laufe Richtung Dom – und dann bin ich schon fast da. Die Rede vom Museumsleiter ist klar im Vorhof der Kunsthalle zu hören, ich habe keine Lust, ins Foyer zu gehen, da ist es mir, wie immer, zu voll. Helene ist sicher drin, die anderen suche ich mit meinen Blicken in der Menge, die mit mir draußen rumsteht. Die warten alle nur darauf, dass es den kostenlosen Wein gibt, ist doch immer so. Rumstehen, kucken, Wein trinken. Wer interessiert sich für die Kunst? Die wird eben „mitgenommen“, alles andere ist wichtiger.
Wir sind die ersten, die mit einem vollen Glas Weißwein beisammen stehen – der Rote ist nicht so lecker und wir gehen sicherlich noch nicht in die Ausstellung, am Anfang ist der größte Andrang. Die Leute können sich sowieso nicht darauf einlassen, sie stehen im Weg herum und tun so, als ob sie besonders interessiert und kultiviert wären. Ich versuche aus den Blicken der anderen zu erkunden, wie sie drauf sind. Sind sie traurig, aus der Spur geraten, melancholisch?
Sie stoßen mit mir an, Thees mit seinen Segelschuhen, nach hinten gegelten Haaren und dem trotz der Wärme drapierten roten Pulli über dem marineblaue-weiß gestreiften Polo-Hemd, Lars mit türkisfarbenen Chinos und weißen Sneakers, Fanny mit ihrer Sonnenbrille in den schwarzen, frisch frisierten Haaren, etwas überschminkt und overdressed, mit ihrem kleinen Schwarzen und viel zu highen Heels, und natürlich Helene, die einen Business-Look trägt und unheimlich elegant aussieht. Helene. Ich möchte sie die ganze Zeit anschauen. Der etwas zu lange Blick auf sie fällt auch den anderen auf:
– Ach, Mitko, wir freuen uns alle für dich!
Thees lächelt süffisant, die anderen sehen mich triumphierend an. Hat Helene es ihnen schon gesagt oder gar über Whatsapp geschrieben?
– Was meinst du?
Sie lachen, aber es ist kein Auslachen, es ist etwas anderes, es ist so ein Lachen, wie man es Kindern nachsichtig schenkt. Es ist so etwas wie: ach, du Dummerchen, ist ja süß von dir, dass du denkst, dass wir nicht wissen, dass du dich unter dem Bett versteckst, nur sehen wir halt deine Hand. Fanny legt einen Arm um mich und sagt:
– Es war echt an der Zeit. Genießt es, ihr beiden. Die Zeiten sind hart genug …
Wir stehen beieinander, wir versuchen den Namen Paula nicht in den Mund zu nehmen, versuchen zu ignorieren, dass ein Teil von uns fehlt. Das hat hier keinen Platz.
The show must go on … sangen Queen, ich habe es in meinen Ohren, während ich den Wein auf meiner Zunge zergehen lasse, meinen Gaumen erfreue. Wir dürfen uns diesen Genuss nicht nehmen lassen, das bringt niemanden zurück – so wie Trauer und übermäßiges Weinen auf einer Beerdigung noch nie einen Toten haben auferstehen lassen …
– Ziemlich viel los heute, Helene! Gute Arbeit!
Sie freut sich über das Lob, sie kann auch stolz auf sich und ihr Team sein, die harte Arbeit hat sich gelohnt. Sie arbeitet viel und identifiziert sich sehr mit dieser Kunsthalle. Deswegen steht sie auch nicht lange bei uns, sie entdeckt nach ein paar Minuten einen wichtigen Typen und geht ihn begrüßen, während wir sie von der Ferne beobachten. Seine Frau trägt die neuesten Christian Louboutin – die mit der roten Sohle, wie mir Fanny erläutert.
– Ich dachte, das mit der roten Sohle ist immer Manolo Blahnik.
– Blödsinn, da hast du schlecht aufgepasst bei Sex and the city, mein Lieber.
Thees und Lars verdrehen schmunzelnd die Augen.
– Lasst uns mal Richtung Baustelle gehen, es ist schon dunkel genug, um was zu rauchen.
– Hier?
Fanny ist genauso irritiert wie ich, als unser schicker Seemann diesen Vorschlag macht, aber nachdem wir uns unseren zweiten Wein geholt haben, beschließen wir seinen Vorschlag anzunehmen. Es interessiert sowieso keinen, wahrscheinlich nur diejenigen, die mitkiffen wollen. Sind ja auch genug Kunst Studenten vom Städel und auch ein paar von der Hochschule für Gestaltung da – mit denen habe ich oft genug irgendwo rumgesessen und einen gezogen. Easy going.
Der Vorhof ist voll, wir beobachten ihn von unserem Platz aus, nach dem ersten Joint rauchen wir auch schon den nächsten, reden über die Menschen, die wir sehen. Es sind immer die gleichen und doch immer andere. Ich schaue sie mir genau an und es sind wirklich andere Gesichter, aber so oft ist es die gleiche Zusammensetzung von Menschen mit Geld und Ansehen, Künstler/innen, Kunstinteressierten mit weniger Geld und Ansehen, Studenten, vorzugsweise kreativer Studiengänge, Party people, die jede Chance nutzen, etwas zu erleben, und Freund/innen von Menschen, die irgendwas mit der Ausstellung zu tun haben. Wir sehen Menschen mit teuren zeitlosen Klamotten, Menschen, die den neuesten Trend tragen, Birkenstock Schuhe dürfen natürlich dabei auch nicht fehlen, weder bei Männern noch bei Frauen, und wir sehen verrückt angezogene Menschen, die auffallen wollen. Manchmal schaut Fanny zu lange, gerade auch bei den Christian Louboutin Schuhen. Die Frau hat ihre Blicke bemerkt und ich versäumte es nicht, ihr ein Kompliment dafür zu machen. Sonst ist das ja etwas peinlich.
– Wollen wir die Ausstellung anschauen?
Die Frage ist obligatorisch und die Antwort-Möglichkeit ist im wahrsten Sinne des Wortes fifty-fifty. Wir schauen maximal die Hälfte der Ausstellungen bei der Eröffnung an, wir lassen uns immer Freikarten von Helene geben und besuchen sie, wenn weniger Menschen anwesend sind.
– Zu viel los. Definitiv. Und wir hatten zu wenig Wein. Auch definitiv.
Lars bringt es auf den Punkt.
– Wo ist eigentlich deine Helene?
Thees zwinkert mir zu. Ja, das wüsste ich auch gerne. Wo ist sie? Schäkert sie mit jemandem? Bin ich eifersüchtig? Sie kennt so viele wichtige Menschen, attraktive Männer …
– Unsere Helene!
Na, die sollen mich mal hier nicht veralbern. Das kann ich gut und gerne auch selbst, dazu brauche ich Thees ganz sicher nicht. Wie kann ich s aggressiv werden mit so viel Gras in mir. Seltsam. Ich sollte noch mehr trinken. Bald beginnen wir Runde vier.